Under the Flag – Review – Totgehört

Bei Berlin denken meisten Metaller immer noch an Hipster, unfertige Flughäfen und die Tatsache, dass Neukölln irgendwie überall ist. Allerdings hat die Bundeshauptstadt tatsächlich auch eine sehr aktive Metal-Szene. Ein Vertreter der lokalen Zunft ist unter anderem NECROMORPH. Dieser Fünfer begann Mitte der Neunziger seine Laufbahn als Black-Metal-Bomber, der unter anderem die klangvolle Demo „Fürst des Zorns“ veröffentlicht hat (allein des Namens wegen, sollte man die Underground-Mailorder und eBay nach einer Kopie davon durchstöbern). 2016 ist man eine gestandene Crust-Death-Metal-Band, die auch einen ordentlichen Grind-Einschlag á la NASUM und ROTTEN SOUND besitzt. Die zweite Full-Length der toten Form (was übrigens die Übersetzung des Bandnamens ist – Anmerkung der Redaktion: der Autor hat Abitur) hört auf den Namen „Under The Flag“ und ist eine wütende halbe Stunde Abriss mit viel Tempo und Dreck im Getriebe.

Knapp 30 Minuten dauert dieser Höllenritt und beschert uns 15 Titel, womit im Mittel etwa zwei Minuten pro Track zur Verfügung stehen und man genau aufpassen muss, wenn man nichts verpassen will. Den auf den ersten Blick wirkt diese Stalinorgel wie ein wirrer Wust aus Punk und Extreme-Metal-Facetten. In Wahrheit aber verbergen sich hinter dem Gewitter viele gut umgesetzte Details, die es Wert sind entdeckt zu werden. So findet man in der Mitte mit ‚Handle The Flag‘ einen amtlichen Black Thrasher, der sich unter einer Baggerschaufel voll Rotzrock verbrigt. Demgegenüber steht direkt im Anschluss ein sehr technischer Titel namens ‚Nogerun-ri‘, der sich ein wenig an modernen NAPALM-DEATH-Ergüssen orientiert. Äußerst originell ist übrigens die Benennung einzelner Lieder. So sind ‚Massendelikt‘ (ein pfeilschnelles Massaker mit prolligem Gesang) ‚Freiheitszerstörer‘ (ein Stakkato-Deathgrinder), ‚Zersetzungsmaßnahme‘ (die beste Melodie des Albums!) oder ‚Zivilisationsautismus‘ (im Grunde die Fortsetzung von ‚Massendelikt‘) kongeniale Namen, bei denen man sich ein anerkennendes Grinsen nur schwer verkneifen kann. Auch durch abwechslungsreiche Melodien und Arrangements stechen gerade die Wortneuschöpfungen aus der Menge heraus. Besonders die Vielseitigkeit der Saitenfraktion, die zwischen Prog, Thrash, Punk, Black und Death Metal hin und her wechseln kann, überzeugt ebenso auf ganzer Linie, wie auch Sänger Fritz, der ebenfalls ein breites Spektrum an Schreien, Grunts und Growls zu bieten hat. Das abschließende Instrumental ‚Cold Dead Hands‘ treibt es dann auf die Spitze und setzt statt Vocals auf Samples und Streicher, die von einer melancholischen Mid-Tempo-Melodie unterlegt werden.

Ich könnte im Grunde bei jedem Track etwas finden, dass ihn mal mehr mal weniger vom Rest unterscheidet  – das ist für ein extremes Album in Spannungsfeld von Crust, Grind und Death Metal eine wirklich beachtliche Leistung! Der Vorwurf, dass alles immer gleich klingt oder große Namen wie NASUM oder NAPALM DEATH permanent bemüht werden, gilt hier auch nicht. „Under The Flag“ ist für Fans von extremer Musik und punkigen Crust-Experimenten  genau der richtige Stoff, um das Wohnzimmer mit einem Vorschlaghammer zu zerlegen. NECROMORPH setzt mit diesem Dreher ein dickes Ausrufezeichen in der Szene und kann sich selbstbewusst auch außerhalb des eigenen Kiez positionieren. Durch diese Kapelle wird die Berliner Luft direkt giftig-toxisch und lässt jeden Hauptstadt-Hipster panisch in die Spree hüpfen.

8 von 10 Punkten

Totgehört (Adrian)